Eine vorbildliche Muzungu

Du bist jetzt nach deinem Vater die Erste aus unserer Familie, die den Äquator überqueren wird, stellte meine Mutter fest, als meine Reise in das im südlichen Afrika gelegene Mosambik feststand. Mosambik liegt sogar ziemlich weit von hieraus gesehen südlich des Äquators und ich erinnere mich an ein Volleyballspiel am Strand von Tofo in der Provinz Inhambane. Es war abends, ziemlich genau 18 Uhr, wir spielten schon eine Weile, der Ball flog ins Aus und ich drehte mich um ihn zu holen. Ich kehrte zurück und es war dunkel. Von jetzt auf gleich, Licht aus, ich hätte es nicht geglaubt, hätte man es mir erzählt.

Das liegt an der Lage, hatte man mir später erklärt, die Dämmerung fiel aus auf der Südhalbkugel, schon immer, ja nicht nur heute, es war jeden Tag so, nur war es mir nicht an jedem der vorangegangenen Tage aufgefallen. Tatsächlich gab es noch viele Dinge mehr, die mir erst sehr viel später auffallen würden, erst, als ich längst von dieser ersten Reise zurück sein würde und mich entschlossen gehabt hätte, sie erneut anzutreten. Mich erneut eine ganze Nacht in ein Flugzeug zu setzen, nach Südafrika zu fliegen, um mich dort in einen Greyhoundbus zu begeben und einen ganzen Tag von Johannesburg nach Maputo zu fahren. Wobei wir an der Grenze der beiden Länder beinahe so viel Zeit verbrachten, wie auf den Straßen links und rechts des Bollwerks der Bürokratie. Ich habe bis heute keine Ahnung, was genau eigentlich derart lang dauern konnte, doch immerhin kannte ich das Gelände der Grenze nach einigem Hin und Her nun ziemlich gut. Und irgendwann war ich noch jedes Mal angekommen in Matola, dieses Mal das erste Mal allein und ich wollte zum Strand.

Früher, als ich mit meiner Familie in den Urlaub fuhr, lagen wir oft am Strand, zwischen all den anderen Touristen, mit dem Bauch oder dem Rücken in die Sonne gedreht und kamen nach ein oder zwei Wochen zurück nach Hause, braungebrannt und gut gelaunt, zurück in die Räume, in denen unsere Bäuche und Rücken mit jedem Tag mehr wieder erblassen würden und das war, was ich in meinem Kopf mit einer Reise in ein Land mit viel Sonne verband.

Mosambik hat eine 2800 Kilometer lange Küste entlang des Indischen Ozeans und ich war sicher, dort würde sich ein schöner Platz für mich finden. Ich wollte also zum Strand in Mosambik, dem Land südlich des Äquators, ohne Dämmerung, in dem sich nur die weißen Menschen Tücher um die Köpfe banden, um keinen Sonnenstich zu bekommen, in dem mittags alles einen Moment lang still stand. Sonnencreme war teuer, niemand ging den ganzen Tag an den Strand, schon gar nicht jetzt, im Sommer. Doch auch das war eins der Dinge, die mir erst nach dem Tag auffielen, als ich mich durchgesetzt hatte, als meine Familie sagte, dann geh halt an den Strand, dann creme dich ordentlich ein, leg dich unter die Tücher und sei am Strand, wenn es dich glücklich macht, wir nehmen dich auch als Krebs wieder auf und sie lachten.

Ich war an diesem Tag vollkommen allein am Strand. Ich hatte mir eine Stelle ausgesucht gleich hinter einer kleinen Strandbar, bei der sich jeder der Besucher*innen drinnen aufhielt. Bei der auf dem Parkplatz davor Segel gespannt waren, um die Autos vor Überhitzung durch die Sonne zu schützen, an dieser Stelle ging ich an den Strand und sah mich um, ich war allein. Ich spürte die Blicke der Strandbarbesucher*innen auf mir und breitete das Tuch, unter das ich mich setzen sollte, auf dem Sand aus und setzte mich stattdessen drauf. Vor meinem inneren Auge sah ich all die Frauen an europäischen Stränden, wie sie dicht an dicht auf ihren Handtüchern lagen und zu bekommen versuchten, was sie als schöne Bräune betrachteten. Weiße Wohlstandsbräune. Urlaubsbräune.

Ich legte mich also auf mein Tuch und streckte die Glieder aus. Jemand stand plötzlich neben mir und sah besorgt aus. Ob ich mir sicher sei, was ich hier tue, fragte er. Ich könne gern in die Bar kommen, sagte er. Ich sah ihn freundlich an und lehnte ab. Sicher?, fragte er und ich nickte. Er zuckte die Schultern und ich hörte „Ohje, Muzungu.“

Muzungu, dieses Wort hatte ich in letzter Zeit öfter gehört. Seine Bedeutung war auch etwas, das mir erst viel später auffiel, denn ich hatte es nicht gekannt, es war kein portugiesisches Wort. Muzungu, das stammt aus dem Swahili, ist aber in zahlreichen Bantusprachen verbreitet und wenn Kinder auf den Straßen Maputos es rufen, bedeutet es wohl einfach nur Weiße. Doch wie das mit Worten oft so ist, ist das noch längst nicht alles, denn wörtlich, und das musste ich googlen, aber nicht an diesem Tag am Strand der Costa dol Sol, bedeutet es, jemand, der ziellos herumwandert und wenn ich heute darüber nachdenke, in Verbindung mit „ohje“ vielleicht auch Irre, aber liebevoll.

Es war tatsächlich ein wenig ziellos, sich auf dieses Tuch zu legen, mitten in die südlich des Äquators Sonne, mit dem Europäer*innen Urlaubsbild im Kopf und na ja, ich hielt es ganze zwanzig Minuten aus, bevor ich wahnsinnige Kopfschmerzen bekam. Zwanzig Minuten, bevor ich mein Tuch zusammenraffte, meine nackten Füße im weißen Sand verbrannte und in die Strandbar schlich. Daumen hoch zeigte mir der Mann, der eben noch draußen neben mir stand und lächelte freundlich, die drei anderen um ihn herum sahen amüsiert aus. Ich nahm es hin, dass es wahnsinnig lange dauerte, bis ein Glas Wasser für mich kam. Ich sah zum Ozean hinaus, die Wellen sich brechen, sah drei Jungen den Strand hinunter rennen, sich in die Wellen werfen und lachen und hatte das Gefühl, alle hier lachten über mich und selbst ich dachte, was war ich doch für eine vorbildliche Muzungu.

Es dauerte nicht lang, da spürte ich das Spannen meiner Haut. Dieses Gefühl, wenn sie einem nicht mehr passt, plötzlich und sie immer röter wird, immer empfindlicher, brennender, spannender, Sonnenbrand. Und ich sah den Krebs, auf den meine Familie in Matola sich gefreut hatte. Zwanzig Minuten hatte es gebraucht, ihn auf meine Haut zu malen und ich bin sicher, es gab auch ein Wort für eine feuerrote Muzungu.

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