Rassismus existiert – glaubs

Der neue Hass?

1010368_574833315912599_1269103559_nIch habe ja gar nichts gegen Ausländer, sagst du zu mir, als dir einfällt, mein Mann ist ja auch einer. Also eigentlich, sagst du, sind die ganz nett sicher, aber solche. Die. Also nicht ihr. Ihr seid ja nett, euch kenn ich, euch mein ich nicht. Ich meine die, sagst du.

Und ich meine, auf welcher Seite der Ausländer steht, entscheidet die Perspektive. Heute sind wir für dich die netten, für deinen Nachbarn aber „DIE“. Heute sind wir dein Alibi, wenn du dich aus der rechten Ecke kommunizieren willst, denn du kannst ja nicht rassistisch sein, reden, denken, wenn du diesen einen Nachbarn hast, der schwarz ist und nett. Morgen sind unsere Kinder der Grund dafür, dass es neuerdings auf dem Spielplatz so laut ist.

Heute kann er für dein Empfinden aber schon echt gut Deutsch, morgen leben alle anderen in abgeschotteten Parallelgesellschaften, in denen keiner auch nur das Wort Apfel versteht und nach eigenen Gesetzen lebt. Heute findest du es wirklich toll, wie er sich beruflich hier entwickelt hat, vorangekommen ist, ganz toll, wie integriert und angekommen, morgen überfluten die anderen den Arbeitsmarkt und nehmen dir weg, was du doch eigentlich gar nicht hast. Und ich frage mich, hörst du dir selbst eigentlich auch mal zu? Denn ich höre dich, jedes deiner Worte und will nicht mehr dein Schutzschild sein, hinter dem hervor du über solche Ausländer zu urteilen können glaubst, ohne rassistisch zu sein. Vielleicht bist du eigentlich nur unreflektiert, mag sein, schon klar, aber dann hör doch lieber den Menschen zu, um die es geht, statt denen, die über sie reden.

Stell dir vor, du spazierst mit deinem nicht deutsch aussehenden Mann und deinen Kindern durch den Zoo, hörst jemanden hinter dir sagen, schaut, da ist einer aus dem Affenhaus ausgebrochen, ha ha, stell dir vor, du läufst mit deinem Mann die Straße entlang und jemand ruft aus dem Auto: Neger! Ha ha, stell dir vor, die Menschen wechseln die Straßenseite, wenn sie dich sehen, stell dir vor, jemand spuckt dir vor die Füße, einfach so, ha ha, stell dir vor, der Bademeister im Schwimmbad verlangt von dir als erwachsener Person, erstmal vorzumachen, dass du schwimmen kannst, bevor du vom Sprungbrett gelassen wirst, dem Sprungbrett, von dem gerade ein Achtjähriger springt, stell dir vor, egal wo du bist, es findet sich immer jemand, der deinen Kindern in die Haare fässt, stell dir vor, du suchst deinen Urlaub danach aus, wo am wenigsten Hass zu erwarten ist, stell dir vor, ein weißer deutscher Mensch kommt und versichert dir, das ist alles gar nicht rassistisch.

Und jetzt stell dir vor, du stellst den Fernseher ein und siehst Hass schürende Menschen mit platten Vorurteilen in Talkshows sitzen, ihren blauen Umhang fester ziehen um den braunen Anzug zu verdecken, und hörst, wie sie sagen, diese Afrikaner können im Dunkeln gar nichts andres als Kinder zu machen, Afrikaner sind stumpfe Kameltreiber, Syrer sind faule junge Kerle, die ihre Familien im Stich lassen um bei uns in die Sozialsysteme zu immigrieren und in Saus und Braus den Krösus raushängen zu lassen, stell dir vor, der Mensch mit dem blauen Umhang im TV, der eigentlich einen braunen Anzug trägt, reißt eine rote Linie nach der anderen, hat den Auftrag „Provokation“ so tief verinnerlicht, dass selbst das Ändern der Sitzposition zu einer wird und alle anderen sitzen daneben und hören höflich zu, weil sie gelernt haben, man lässt sein Gegenüber ausreden und mindestens einer nickt unmerklich. Stell dir vor, du sucht unter den Gästen nach jemandem, der innerlich kocht, einer Person, die Interessen vertritt, die menschlicher Natur sind, doch sie sitzen nur höflich im Stuhlkreis und normalisieren einander.

Ich stelle mir in solchen TV-Momenten immer vor, wie ganz sicher jeden Moment ein Mensch aus dem Publikum aufspringt und „Rassistische Vorurteile!“, brüllt, „Hetze! Hass! Und noch dazu die Unwahrheit, schmeißt den mal wer raus!“ aber der, der rausgeschmissen würde, wäre der Zuschauer, denn die Regel lautet natürlich, wie im Parliament: keine Meinungsbekundungen aus dem Zuschauerraum! Und was ein guter Deutscher ist, der hält sich natürlich an jede Regel (Achtung Vorurteil), oder wird halt entfernt. Ich jedenfalls springe dann stets von der Couch auf, brülle den Fernseher an, wie der gute Deutsche sonst beim WM-Vorrundenspiel (Achtung Vorurteil), und fühle mich mit meiner Wut allein.

So allein, wie dieser kleine Junge, dessen Leiche wir alle an einer Mittelmeerküste angespült liegen sahen. So allein, wie die Mutter aus dem Iran, die in der deutschen Ausländerbehörde nicht zu ihrem Recht kommt, weil Amtssprache Deutsch ist, auch wenn sie gestern erst kam. So allein, wie die Freundin meiner Tochter, die seit Wochen überlegt, ob ihre beste Freundin bald nicht mehr da ist, weil diese Partei, wenn sie die Wahlen gewinnt, alle Ausländer aus dem Land schmeißen will, also auch meine Tochter, ihre Freundin, sie hat viele Nächte geweint, eh sie ihre Mutter fragte, ob sie was tun können.

Stell dir vor, du bist auch Gast in einer Polit-Talkshow, Randgast. Die Betroffene. Das Beispiel, das zweieinhalb Minuten Redezeit bekommt, um zu illustrieren, ja, es gibt dieses Gespenst in unserem Land, das sich Alltagsrassismus nennt. Stell dir vor, du wirst kurz vor Ende der Sendung an ein Tischchen gestellt, darfst kurz erzählen, was dir alles trauriges passiert ist, und die wichtigen Menschen im Stuhlkreis schauen dich die ganze Zeit betroffen an, mit schief gelegtem Kopf um in dem Moment, in dem die Betroffene sich wieder hingesetzt hat, zu sagen, das sei ja alles nicht schön, aber trotzdem geht’s so nicht weiter, mit den Flüchtlingen.

Ist dieser Hass neu? Fing er an, als der erste Syrische Flüchtling seinen Fuß nach Berlin gesetzt hat? Rollte eine blaue Welle über das Land, seit die Züge mit „solchen Ausländern“ durch Europa rollten?

Das erste mal vor die Füße gespuckt wurde meinem Mann im Jahr 2008, da war er gerade zwei Wochen in Deutschland.

Wann kamen die Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg? Nicht die AfD hat den Hass erfunden, sie nutzt ihn lediglich, schürt ihn und macht ihn gesellschaftsfähig.

In einer Gesellschaft, in der jeder seines Glückes Schmied ist, jeder nur schaut, wann der nächste Urlaub naht, wie schön die Balkonpflanzen gedeihen, die neue Hose passt, das Foto auf Facebook wirkt, in solch einer Gesellschaft sehen wir nicht, wenn das Make-up zur Maske wird und die Wohnungstür zur Wahrnehmungsgrenze.

Das hätte ich nie gedacht! Das wusste ich nicht! Sagst du, wenn ich erzähle, was uns passiert und das glaube ich gern. Denn Menschen, die von Diskriminierung egal welcher Art nicht betroffen sind, erfahren ihn auch nicht als solchen, weil niemand darüber spricht. Weil wir zwar hören, wie die junge Frau in der Straßenbahn mit einem sexistischen Witz belegt wird, aber denken wollen, sie fände das lustig (oder gelernt haben, das sei lustig). Weil wir natürlich sehen, wie der Mann mit angeekeltem Gesicht auf den Gehweg spuckt, als ihm ein äußerlich nicht Deutscher entgegen kommt, wir aber denken, das war nicht so gemeint. Ganz sicher kann der „Ausländer“ kein Deutsch, denken wir, wenn neben ihm lautstark gesagt wird, hier würde es stinken, seit der N* da ist, und sagen deshalb nichts. Schauen weg. Wollen nichts sehen.

In einer Gesellschaft des Schweigens und Wegsehens können die Nazis sich frei und ungestört entfalten. Nazis fallen nicht vom Himmel. Nazis kommen aus der Gesellschaft. Der Gesellschaft, in der wir uns nur um uns kümmern, nur die eigenen Nägel feilen und nicht wahrnehmen wollen, dass jeden Tag Menschen auf offener Straße beleidigt, bespuckt, gemieden oder gar bedroht werden.

Und wenn dann doch jemand den Mund aufmacht, sich wehrt und sagt: Ich habe Rassismus/ Diskriminierung/ Sexismus erlebt, dann lügt er oder sie, dann lüge ich, ganz klar und soll doch am besten auswandern. Aussagen werden relativiert, negiert.

Und die, die einem doch glauben, und keine Nazis sind, glauben zu wissen, dass das aber nicht hier passiert sein kann. Nicht in ihrem schönen Städtchen, nicht in meiner heilen Welt, hier sind wir bunt und offen und jeder hat seinen Platz.

Wie oft habe ich das gehört, diese Frage: Aber HIER nicht, oder? Das kann nicht sein, nicht dort, wo ich netter, toleranter Mensch bin!

Oh doch. Obwohl du netter, toleranter Mensch hier bist, obwohl es hier bunt ist, gibt es Flüchtlingsfamilien, die in die urbane Peripherie ziehen, in „Brennpunkte“, weil sie auf dem Land oder im Zentrum der schönen bunten Stadt partout keinen Wohnraum erhalten. Und das reflexartige: Aber hier nicht! zeigt wunderbar nicht, wie wunderbar bunt unsere Stadt ist, sondern wie gekonnt wir leugnen, was wir nicht sehen wollen.

Stell dir vor, du wirst immer wieder gefragt, wo du EIGENTLICH her kommst und bist dann die Beleidigende, wenn du mit „Aus der Vagina meiner Mutter“ antwortest. Stell dir vor, wie es ist, wenn du gefragt wirst, ob du dir schon überlegt hast, in welches Land du ziehen kannst, wenn die nächsten Wahlen durch sind und dein Gegenüber meint das fürsorglich. Stell dir vor, dein Name gibt Anlass zu Diskussionen, stell dir vor, dein Umfeld stellt verwundert fest, du bist in der Sonne ja auch braun geworden, stell dir vor, dir geht dieser gar nicht böse gemeinte Spruch dermaßen auf den Geist, dass du dein Gegenüber im Volkshochschul-Biologiekurs anmelden willst, statt immer wieder zu erklären, wie das mit der Haut so funktioniert, egal, welchen Farbton sie hat.

5 Gedanken zu “Rassismus existiert – glaubs

  1. So wahr und so schrecklich, dass einem das Essen im Hals stecken bleibt und neben Wut eine große Hilflosigkeit zurück bleibt. Wir brauchen Bürgerseminare, die von Betroffenen begleitet werden. Wir brauchen Übung im Aufspringen und „Stopp, Rassismus“ rufen. Wir brauchen Zivilcourage. Ich weiß, dass viele Menschen die schon zeigen, z.B. bei einem Test im Bus, wo Ausländer angewiesen werden, sich auf die hinteren Plätze zu setzen und normale Fahrgäste dagegen angehen. Das ist ein Test mit grobem Rassismus, aber wir brauchen Antennen für den subtileren Rassismus im feinen Gewand, im blauen Umhang. Danke für diese Rede.

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  2. Danke für diesen Text. So viele Denkanstöße und so viele „eigentlich“ und „ja, aber“, die ich selbst auch schon gehört habe und die man oft genug überhört, weil man keine Lust auf Diskussionen unter Nachbarn, Kollegen, was auch immer hat.
    Ich weiß, dass das falsch und in gewisser Weise auch feige ist.
    Daran muss ich arbeiten. Dringend.

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