Dein Pass – PenMarathon

(Diese Geschichte ist als Wettbewerbsbeitrag im Rahmen des ersten internationalen „PenMarathon“ in Georgien entstanden.)

Dein Pass

Und weil du tot bist, bin ich noch am Leben.

Dein Atmen für meines, als würde sowieso niemand merken, ob eine von uns fehlt.

Aufgeweckt hast an diesem Tag noch du mich. Deine Stimme aus dem Haus nebenan, die Geräusche, ich kannte sie schon und sprang aus dem Bett.

Noch während deine Schreie im Morgengrauen verstummten, zwischen meinen schnellen Schritten auf dem Weg zu dir spürte ich, du würdest schon tot sein, ehe ich dort bin. Dennoch rannte ich jetzt. Hinein in den letzten Hall deiner Stimme, der hinter mir verklang, bis ich am Anfang des Schotterwegs zu eurer Haustür stand.

Ich sah jetzt ihn, mit deinem Blut auf dem Shirt, so kam er aus dem Haus. Das Knirschen seiner Schritte auf den zahllosen Steinchen erfüllte die Luft, jedes Aufsetzen des Fußes wie ein Knall in meinem Kopf.

Aber er sah mich nicht an, sah durch alles hindurch, sah nicht dein Blut, das seine Hand auf dem Griff eurer Autotür hinterließ.

Und dann war er weg. Und es war still. Und ich trat auf den Schotter, extra laut. Hör her, lebe noch ein wenig, gleich bin ich da, an seiner statt.

Ich sah mir nun selbst von oben her zu, sah mich über deine Türschwelle treten, näher kommen, deinen Körper anfassen, deinen Puls fühlen und erinnere mich an ein dumpfes Pochen. Zu schwach um zu leben, zu deutlich um schon tot zu sein, dennoch tat ich nichts. Stand einfach da, in deinem Flur, durch den du zu verschwinden versuchtest und sah dich an, Mara, wie du vor meinen Füßen lagst und starbst, so dicht vor der rettenden Tür.

Ich war mir sicher, du würdest sterben. Warum also einen Krankenwagen rufen? Die Polizei?

Warum mich selbst in Probleme bringen, weil du stirbst?

Du weißt natürlich, dass ich illegal bin, würdest mein Handeln verstehen, mir verzeihen.

Das würdest du tun, ich weiß es genau, wenn du nicht gleich tot wärst, dir nicht Blut hinter dem Ohr aus dem Kopf in die Fugen der Bodendielen laufen würde.

Ich kann es nicht mehr sehen, dein Leiden, dein Sterben, es ist so armselig, es passt nicht zu dir. Und doch sehe ich noch den Stolz in deinem Gesicht, als stündest du auch jetzt noch über den Dingen, als berührte dein Sterben dich eigentlich nicht.

Und ich dachte: Warum tue ich dir diesen Gefallen nicht? Ich muss nur deinen Pass an mich nehmen, der meiner sein könnte, so unserer ist.

Wenn ich legal nicht sein kann, dann muss ich eben du sein, so können wir beide weiter sein.

Ich muss einfach alles von dir nehmen, dein Geld, Versicherung, Steuer-ID, dein Visum, dein Recht hier zu sein, in diesem Land, bei den Menschen, die dieses Recht an Frauen wie uns aus dem Sudan nur dann vergeben, wenn Süd- vor dem Ländernamen steht.

Weißt du noch Mara, wie wir aufgewachsen sind, im selben Dorf, damals, als der Sudan noch ein Land war. Heute hat die Welt eine Linie durch den Sand unserer Straßen gedacht und Nord- und Süd- vor den Sudan geschrieben und Menschenrechte neu verteilt.

Du darfst (hier) leben, du nicht. Das entschieden einst andere, heute tu ich es und nehme deinen Pass und bin Mara.

Und zu guter Letzt nehme ich dich und helfe dir bei der Flucht aus deinem Haus, wie wir uns gegenseitig aus dem Sudan.

Du hast mich dieses lange Stück Weg auf dem Rücken getragen, nun ziehe ich deinen Oberkörper meinen Rücken hinauf. Ich lege mir deine Arme um den Hals, glaube, warme Atemluft aus deinen Lungen an meinem Ohr zu spüren, doch du hängst schwer wie ein Leben an mir und bist tot.

Trotzdem rette ich dich, als ich deine Füße über die Schwelle ziehe und nach draußen trete, rette mich, als ich dich das Stück Straße entlang schleife.

Die Menschen dort drüben schauen uns an, ich ziehe dich weiter, ziehe nun deine Füße über meine Schwelle, auch dort klebt nun eine dünne Spur Blut.

Ich lasse dich fallen, du beschwerst dich nicht. Liegst jetzt in meinem Flur, in Sicherheit. Du kannst dich entspannen, denke ich, lieg doch nicht auf dem Boden herum, das ist würdelos, es passt nicht zu dir. Also ziehe ich dich weiter über den Linoleumboden, deine Hände in meinen, als gingen wir spazieren.

In der Ecke steht der Stuhl, auf dem du immer sitzt, ich hebe dich hoch und schon ist es wie gestern. Den Kopf an die Wand hinter dir gelehnt, die Arme auf dem Tisch, so sitzt du bei mir.

Ich koche uns Kaffee.

Deine Tasse bleibt unberührt vor dir stehen. Du hast noch nie gern Kaffee getrunken, stets nur Tee, damals schon, zu Hause im sudanesischen Dorf.

Ich sehe dich an, den Stolz im Gesicht, den Versuch, den Willen, alles zu ertragen, bis es wieder ist, wie es einmal war.

Ich weiß noch, wie glücklich du warst, als du ihn zum Mann bekamst, wie gut es euch ging bis der Bürgerkrieg kam. Irgendwann, ganz bald, in der Nachbarschaft wuchs, Dinge hinterließ, Patronen, Trümmer, Leichenteile.

Ich weiß noch, wie wir irgendwann das Geld, später auch den Willen hatten zu gehen, die Schlepper zu bezahlen, auf die Ladefläche zu steigen und auf unser Glück zu hoffen.

Nach mehreren Wochen oder Monaten, vielleicht auch Tagen in diesem Lager in irgendeinem Land am Mittelmeer sind wir in ein Boot gestiegen. Ein viel zu kleines, zu volles, zu alles.

Und dein Mann hat seine Arme um dich gelegt, und mein Mann hat diesen Panikanfall bekommen und ist ins schwarze Wasser gesprungen.

Doch wir kamen an, irgendwie, kamen in dieses Land und du warst mir ein Trost, meine Freundin. Und auch heute tröstest du mich über deinen Tod hinweg, sitzt bei mir am Küchentisch und hörst mir zu, das hilft.

Ich sehe dich an, die Hämatome in deinem Gesicht sind nicht alle neu, geschlagen hat er dich schon oft, seit wir hier sind, in lähmender Perspektivlosigkeit. Das macht aggressiv, schafft Hass aufeinander und am Ende ist aus dem Traum ein Albtraum geworden. Und ich frage mich, was ist es, das macht, dass der Kontrollverlust über das eigene Leben dazu führt, mit Hass Kontrolle über das eines Anderen ausüben zu wollen.

Ich stelle meine leere Kaffeetasse auf deine Untertasse und trinke nun auch deinen Kaffee, lauwarm nur noch, was solls.

Jetzt lege ich deinen Pass vor mich hin, deine Krankenkassenkarte, deine Steuer-ID und sehe dich an. Vielleicht will ich dich fragen, was du von mir hältst, vielleicht will ich ein Lächeln, ein: klar, kannst du machen! Vielleicht habe ich Angst du könntest mich hassen, vielleicht ist es eher der Hass auf mich selbst, meine Gleichgültigkeit wer ich eigentlich bin und dass du nicht mehr bist.

Und doch stehe ich jetzt auf, mit deinem Pass in der Hand. Weißt du eigentlich Mara, wann ich das letzte Mal vor der Tür war? Also weder bei dir, noch bei mir, sondern in der Stadt, die eigentlich schon die ganze Zeit genau hier war, nur nicht für mich, ohne Pass.

Ich laufe eine Straße entlang, völlig egal wohin sie führt, wichtig ist nur, ich laufe sie entlang, ohne Angst. Mit leerem Kopf. Es heißt Freiheit.

Ich setze mich auf eine Bank, mit deinem Pass in der Tasche und wünsche mir fast, dieser Polizist dort drüben würde mich endlich kontrollieren. Doch weil er das nicht tut, sitze ich hier einfach weiter auf der Bank und lasse die Urbanität auf mich wirken. Die riesigen Häuser mit ihren staubig bunten Fassaden verschlucken Menschen, spuken sie irgendwann wieder aus.

Zwischen den Bordsteinplatten drücken sich vereinzelte Grashalme hervor, ein einzelnes Gänseblümchen blüht im Rinnstein und trotzt dem Asphalt, auf dem es eigentlich gar nicht wachsen könnte. Es ist wunderschön in seiner Einfachheit, seiner Singularität, als eines von Millionen Gänseblümchen den Mut zu haben, hier vollkommen allein zu wachsen. Ich stelle meinen Fuß ganz dicht daneben und wir sind zusammen dort, wo wir gar nicht sein sollten.

Ich weiß nicht, wie spät es ist, als ich zurück zu dir nach Hause komme, doch dunkel ist es bereits. Neben dem Gänseblümchen stehend sah der Sonnenuntergang vollkommen anders aus, als durch meine Küchenfenster, oder zu Hause.

Im Sudan stiegt die Sonne am Morgen aus dem großen See, frisch und sauber. Hier dagegen kriecht sie hinter Hochhäusern hervor, zwischen Abgasen und Staub hindurch an den Himmel. Dort hängt sie so den ganzen Tag hinter ihrem schmutzigen Schleier, der trübt das Licht und die Wärme.

Das Erste, was ich schließlich von dir sah, war dein leuchtend roter Hosenanzug, auf dem sich rostrote Flecken durch den Stoff gefressen hatten. Dieses leuchtende Rot konterkariert meine Küche, mit den matt weißen Einbauschränken, vor dreckig gelber Tapete.

Das Zweite, was mir an dir auffällt, ist dieser Geruch, der als Blase um dich hängt. Ich mache das Küchenfenster neben dir auf und warte ab, was passiert. Was soll schon passieren? Es klopft an der Tür.

Was völlig absurd ist, denn nur du klopfst an meine Tür, aber du sitzt ja dort und verscheuchst die Fliege nicht, die auf deiner Nase sitzt. Es klopft erneut, energischer, und ich setze mich hin, du verscheuchst solche Fliegen sonst immer, das macht mich plötzlich traurig.

Ich weiß, dass du da bist, sagt eine Stimme, die deines Mannes, hinter der Tür.

Mach schon auf, sagt die Stimme, und sag mir: wo ist meine Frau?

Ich rühre mich nicht. Vielleicht riecht er dich? Die Tür wird im Schloss hin und her gerüttelt, habe ich sie eigentlich abgeschlossen? Das denke ich gerade, als sie in den Raum hinein knarrt und dein Mann dort steht.

Mit dir in meiner Küche hätte er wohl nicht gerechnet, so wie er guckt, trotzdem kommt er rein, sieht dich an.

Sie ist tot, sage ich.

So ein Mist, sagt er.

Nichts, sagst du.

Was ist das für ein Geruch?, fragt er.

Was für ein Geruch?, frage ich.

Nichts, fragst du.

Und dann weint er plötzlich und sagt irgendwas und vor meinem inneren Auge sehe ich seine Faust in deinem Gesicht, seinen Fuß auf deinem Kopf, und er weint.

Das wollte ich nicht, sagt er.

Das weiß ich, sage ich.

Alles, sagst du mit deinem Geruch.

Und jetzt geh doch bitte, sage ich, ich möchte weiter frei sein und er guckt. Und er geht. Mir egal wohin. Und wir sind wieder allein und ich höre dich lachen, aus deinem verstummten Mund. Und ich bin wieder du und kann wieder sein. Jede Lüge eröffnet eine Paralellwelt, in der sie wahr sein kann, in der ich glücklich und frei bin, während dich die Maden durchlöchern.

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