Keine Räume den Rechten auf der Frankfurter Buchmesse und überall

Am Freitag, den 12. Oktober 2018, hat sich der AfD Politiker Björn Höcke für eine Lesung auf der Frankfurter Buchmesse angemeldet. Wozu ein solcher Besuch führen kann, zeigte sich im vergangenen Jahr auf eben dieser Messe, weshalb die Organisatoren ein neues Sicherheitskonzept erarbeitet hatten, das die Lesung in einen nicht öffentlich zugänglichen Bereich verbannte, was ich zunächst begrüßenswert finde. Dennoch ist es mein Anliegen Menschen, mit menschenverachtenden Ansichten, nicht kommentarlos zu ermöglichen ihre Resonanzräume stetig zu erweitern. Ich wollte ein Stück des Raumes einnehmen, den Herr Höcke für sich beanspruchte. Darum stand ich dort, wo ich stand, ich wollte durch bloßes Dasein zeigen, ich überlasse dir diesen Raum nicht. Ich bin hier. Doch am Ende des Abends war ich es nicht mehr. Folgendes ist passiert:

(Dies ist ein Gedächtnisprotokoll, das der Messeleitung vorgelegt worden ist und keine literarische Bearbeitung. Ich nenne keine Namen. Diese sind den Verantwortlichen aber selbstverständlich bekannt.)

Ein Gedächtnisprotokoll

Frankfurter Buchmesse, Freitag der 12. Oktober 2018, kurz nach 18 Uhr auf dem Messegelände, draußen.

Ich stehe gemeinsam mit einer Gruppe von Ausstellerinnen und Journalistinnen vor der Halle 4, in der der umstrittene AfD Politiker Björn Höcke auf Einladung rechter Verlage eine Veranstaltung abhalten darf. Die Ebene zwischen 4.1 und 4.0 ist dafür gesperrt worden, niemand durfte die Rolltreppen benutzen, alle möglichen Menschen standen und starrten auf die Zwischenebene. Ohne jede Begründung wurde jedem der kam der Zutritt verweigert. Deeskalationsstrategie, nun gut. Immerhin verlief dadurch die Lesung hinter abgesperrten Mauern vollkommen unspektakulär.

Wir standen also nicht in der Halle, sondern draußen, an der Seite, wo ein Auto mit laufendem Motor auf Herrn H. zu warten schien. Journalistinnen mit TV Kameras hielten ihre Mikrophone hoch und schienen tatsächlich vor zu haben, rechte Populisten dort hinein sprechen zu lassen. An diesem Punkt möchte ich sagen, bin ich froh über den Umgang der Messe, denn Herrn H. wurde nicht durch diesen Ausgang heraus gelassen. Irgendwann fuhr das Auto los, ohne Beifahrer und uns war klar, hier wird an allen Stellen abgelenkt, der Populist ist durch irgendwelche Hintereingänge geschleust worden, vorbei an allen Medien (Die sich sowieso fragen sollten, warum genau sie ein Statement von Herrn H. wollten). Okay, soweit so gut. Wir bleiben zunächst dort stehen, einige sind in Richtung der Ausfahrt losgelaufen, die Polizistenblöcke lösen sich auf. Ich laufe auch ein Stück in Richtung Ausgang des Messegeländes, weil ich die Menschen suche, mit denen ich dort gestanden habe. Plötzlich sehe ich sie und gleichzeitig kommen zwei junge Frauen, Ausstellerinnen, wieder in unsere Richtung gelaufen, ihnen hinterher im militärisch anmutenden Stechschritt vier Männer im Anzug. Wir bleiben stehen und warten was passiert, als einer der vier auf die beiden Frauen zeigt und sagt: „Mitkommen!“, in einem Ton, der zum Stechschritt passte. Wir Neun, die wir dort waren, überlegten nicht lange: Da kommen vier Männer aus der Richtung von Björn Höckes Auto und verlangen zwei junge Frauen mitzunehmen um ihre Personalien festzustellen, ähm nein. Wir haben darauf bestanden, dass sie sich ausweisen sollen als Polizisten. Man zeigte uns eine Sekunde lang einen Ausweis der „Hessischen Schutzpolizei“, Derjenige, der ihn mir zeigte, hielt seinen Daumen über dem Ausweis, darauf war für mich nichts ausweisendes zu erkennen, wir bestanden also darauf, dass Polizisten in Uniform dazu geholt werden, kann ja kein Problem sein, waren ja genügend dort. Drei der Männer stellten sich daraufhin um die beiden Frauen, mit dem Rücken zu ihnen, die sich so eingekreist offensichtlich verängstigt aneinander klammerten, schirmten sie so von uns ab und versuchten, sie von uns zu entfernen, ohne auf die Polizisten zu warten. Ich für meinen Teil habe keine Erfahrung mit solchen „Einsätzen“, mir erschien das Vorgehen dieser Männer als äußerst fragwürdig, zumal mit dem Wissen im Hinterkopf, dass sich mehrere hundert Identitäre und andere Rechte auf dem Gelände aufhielten, empfinde ich unser Bestehen auf uniformierte Beamtinnen als legitim. (Einer von uns googelte „Hessische Schutzpolizei“, tun Sie das mal auch, da werden keine Männer im Anzug beschrieben) Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der die Männer anfingen uns zu duzen und unser Wissen über den eigentlichen Umgang von Polizisten bei solchen Situationen in Abrede zu stellen („Bist du Jurist? Also, halt den Mund.“) kamen schließlich uniformierte Polizistinnen. 

Diese ließen sich kurz die Lage erklären, es kam raus, dass die beiden Frauen „Scheiß Nazi“ gerufen haben sollen, als Herr H. vorbei fuhr. Aha.

Ich möchte wirklich nicht wissen, was Herr H. in der abgeschirmten Halle alles rief, ohne umstellt zu werden.

Wie auch immer, die Polizisten lösten die beiden aus der Einkesselung und setzen sie tatsächlich in einen Einsatzwagen um ihre Personalien aufzunehmen. Wir blieben stehen, wollten warten, bis die beiden wieder gehen gelassen wurden und wurden von Ordnern der Messe und Polizisten umstellt. Wir warteten. Irgendwann kam einer der Männer im Anzug auf einen von uns zu und fragte, wer er sei. Presse!

Er habe gefilmt, sagte der Mann im Anzug und verlangte, dass der Journalist sein Video vom Handy löscht. Eine vollkommen unzulässige Forderung! Egal, ob Dialoge aufgezeichnet worden sind oder nicht, kein Journalist darf in Deutschland oder sonst wo gezwungen werden, sein Material zu löschen, ohne zu prüfen, ob sich darauf justiziables Material befindet. Man drohte ihm mit Hausverbot, den genauen Dialog habe ich nicht verstanden, jedenfalls löschte er dann unter den Augen des Anzugmannes das Video. Der ließ sich die anderen Aufnahmen zeigen, bis er sicher war, dass alle Videos gelöscht wurden. Und schon waren auch wir dran und mussten unsere Ausweise abgeben. Diese Ausweise wurden von der Polizei nach der Feststellung der Personalien an die Männer im Anzug übergeben, die unsere Dokumente abfotografierten! Ich überlege mir seit dem, ob nun tatsächlich Bernd Höckes vermeintliche Personenschützer meine Ausweisdokumente kennen und mir wird dabei wirklich sehr schlecht.

Wir wiederum verlangten die Namen der Anzugmänner zu erfahren, einer der Polizisten nannte uns seinen und entschied, die Forderung sei damit erfüllt – finde ich jetzt nicht so.

Irgendwann kam eine der beiden Frauen wieder aus dem Einsatzwagen, die zweite war zu ihrem Stand in der Halle gebracht worden, weil dort ihr Ausweis lag und ein Ordner der Messe stellte sich vor uns. Gab und einen Platzverweis. Sagte, wir hätten das Messegelände zu verlassen und dürften mindestens heute nicht wiederkommen. Die Messe würde außerdem ein Hausverbot aussprechen, das für die Frankfurter Messe sowie die Buchmesse gelte, das bekämen wir schriftlich, damit wurden wir in Begleitung der Ordner der Messe vom Gelände entfernt, ein Teil zur S-Bahn gebracht, ich in den Shuttle Bus gesetzt.

Ich empfinde diese Situation auch heute, wo ich eine Nacht drüber schlafen konnte, als äußerst bedrohlich, und das Vorgehen der Männer im Anzug als vollkommen überzogen. Kein Polizist nimmt die Personalien von jemandem auf, der „Scheiß Nazi“ ruft und sonst nichts tut, wenn die Anweisung „Deeskalation“ ist.

Wir, die wir klar machen wollten, das Menschen wie Höcke auf Buchmessen oder sonst welchen Foren und in Räumen nichts, aber auch wirklich gar nichts zu suchen haben, keine Bühne bekommen sollten, wir wurden letztlich vom Gelände entfernt und mit Hausverbot bedroht, nicht die Rechten, die menschenfeindliche Theorien verbreiten.

Ich bin wütend. Ich bin aber auch dankbar, dass ich privilegiert bin und sofort jemanden kontaktieren konnte. Eine bei der Messeleitung verantwortliche Person hat sich von mir diese Situation schildern lassen und sofort erkannt, dass ein Hausverbot für uns nicht im Interesse der Buchmesse Frankfurt sein kann und versprochen sich zu kümmern, und das hat diese Person auch, vielen Dank, aber was, wenn ich nicht dabei gewesen wäre und die anderen diesen Kontakt nicht hätten nutzen können?

Was bleibt für mich: „Scheiß Nazi“ darf man offenbar nicht mehr sagen, dabei wird man doch wohl dies und das noch sagen dürfen!! Aber nur, wenn man auf der „richtigen“ Seite steht.

Ich bin wütend.

13 Gedanken zu “Keine Räume den Rechten auf der Frankfurter Buchmesse und überall

  1. Unfassbar! Zum Einen der Vorgang an sich, zum Anderen die Tatsache, dass man einen Scheiß Nazi nicht Scheiß Nazi nennen darf. Wenn Herr Höcke sich davon beleidigt fühlt, soll er doch selbst juristisch dagegen vorgehen und nicht seine Schergen loslassen. „Die Veranstaltung mit Höcke und seinen Anhängern verlief ohne Zwischenfälle.“, schreibt „Die Welt“ zu Höckes Auftritt übrigens. Nun ja – offensichtlich nicht …

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  2. Solches war unter anderem auch mit ein Grund für uns, die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr zu boykottieren und stattdessen lieber zum Kraniche-Kucken an die Ostsee zu fahren… :-/

    Es drängt sich mir immer mehr der Eindruck einer schleichenden Machtübernahme auf. Diese Leute haben einen Plan, wir anderen eher keinen. Das ist unser Dilemma. Wie dem am wirksamsten entgegenzutreten wäre, ohne in blindwütigen, kräftezehrenden Aktionismus zu verfallen, darüber rätsele ich noch. Es würde wohl schon helfen, wenn wir anderen nur halb so gut vernetzt wären wie jene, die den Sturz der Demokratie bezwecken. Fangen wir am besten damit an!

    Betty

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  3. Hallo Sophie, für mich unfassbar was da passiert ist .
    Provinz Sheriffs spielen sich auf in der Hoffnung auf baldige Beförderung.
    Allerdings würde ich auch eine Anzeige starten …..einfach Personalausweis abfotografieren undenkbar.
    Viel Kraft sende ich euch .
    #scheissnazies#fckafd

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  4. Mann ist das zum kotzen! Leider wundert es mich nicht, das politische Klima im Land ändert sich. Wenn das bei den Dorfpolizisten im Eichsfeld so üblich ist, unschön, geschenkt, aber das passierte auf einer international bekannten und rennomierten Buchmesse, dem Mekka der deutschen Intellektuellen sozusagen. Das ist die hässliche Fratze Nazideutschlands auf international beachtetem Parkett. Auch wenn das jetzt echauffiert klingen mag: persönlich erinnert mich das an Erlebnisse in einem von einem Diktator beherrschten Land. Polizeiwillkür, und wenn man Glück hat, kann man jemanden mit Einfluss anrufen, der einen befreit. Immerhin wurde kein Bestechungsgeld gefordert. Trotzdem: das ist ein Verlust an Zivilisiertheit und leider ist es nur ein Beispiel von Vielen.

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  5. Ich habe Dir gerade schon auf Twitter geantwortet, eben dann mal Schutzpolizei gegoogelt. Hallooo??! O.o Jetzt würde mich noch mal mehr interessieren, warum die echte Polizei den anderen Typen erlaubt hat, Euren Ausweis zu fotografieren. Ich bin wirklich sprachlos und habe großen Respekt vor Deinem Mut und Deiner Zivilcourage! Danke, für Deinen Bericht!

    Liebe Grüße
    Petrissa

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  6. Das war blanke Einschüchterung. Ich würde bei der hessischen Schutzpolizei recherchieren, ob es wirklich einen entsprechenden Einsatz ihrer Beamten gegeben hat.

    Polizisten hätten ihre Namen doch nicht verdecken dürfen, oder?

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